Nicht mehr unkontrolliert in sich hineinessen, aber dafür shoppen – Wie sich ein Symptom verlagern kann
Frau Sabine kam freudestrahlend in die Praxis gerauscht, mit neuem Elan, rosigen Wangen und ganz aufgeregt: „Sie werden es nicht glauben, ich habe seit unserem letzten Termin bereits drei Kilo abgenommen!“
Überglücklich berichtete mir die Mittvierzigerin, wie sie ihre Bewusstheit für das Essen, die tägliche Bewegung und Gedanken-Hygiene wiedergefunden hatte. Wie es ihr Freude bereite, sich ausgewogen zu ernähren, mit viel Gemüse, weniger Kohlehydraten und dem neuentdeckten Sättigungsgefühl, das ihr sage, wann sie genug gegessen habe.
Beindruckt hörte ich der Lobeshymne in gezwitschertem Erzählton zu. Irgendetwas alarmierte mich. Zuerst konnte ich es nicht erklären, was mir dieses ungute Gefühl bereitete. Frau Sabine sah strahlend aus, so, als wäre sie gerade aus einem Wellness-Urlaub zurückgekehrt.
In einer Atempause meiner Klientin fragte ich sie: „Was hat sich sonst noch in Ihrem Leben verändert?“ Frau Sabine: „Mein Mann, das ist auch so toll, findet mich wieder viel attraktiver, viel interessanter, wir haben wieder viel mehr Spass im Bett“, ergänzte Frau Sabine errötend. Das war meines Erachtens alles schön und gut, die Klientin sollte diese Veränderungen ruhig geniessen, tat doch auch ihrem Selbstwertgefühl gut, so dachte ich mir.
Neue Tasche anstatt Essen
Gedankenverloren befühlte meine Klientin ihre nagelneue, sündhaft teure Handtasche. „Gut, etwas hat sich schon verändert“, fügte Frau Sabine etwas stiller bei, „ich shoppe definitiv mehr als früher.“ Ich erfuhr, dass sich das Shopping-Verhalten meiner Klientin wirklich massiv belastend auf ihr Konto auswirkte. „Wissen, Sie, es geht mir nachher einfach so gut“, meinte Frau Sabine beschämt. Meine Frage war ziemlich provokativ: „So gut wie vorher nach dem übermässigen Essen?“
Gemeinsam erarbeite ich mit meiner Klientin eine Erkenntnis: Sie hatte ein Muster von übermässigem Essen zwecks Spannungsabbau zugelegt, so dass sie in zwei Jahren zwanzig Kilo zugenommen hatte. Nun hatte zwar die Therapie-Massnahme in Bezug auf das Essverhalten angeschlagen, jedoch das Grundthema des Umganges mit Spannung noch nicht. Meine Klientin wollte unbedingt ein Weg finden, wie sie ihr Leben selber steuern und bestimmen konnte- in allen Bereichen, denn, was nützt am Schluss eine kleinere Konfektionsgrösse, wenn dabei das Konto leergeräumt wurde.
Unter Hypnose erlernen viele Menschen, Spannung frühzeitig zu erkennen, damit umzugehen und so immer mehr Meister ihres Alltagages zu werden. Erst, wenn sich Symptome in ihrem ganzen Ausmass gezeigt haben, können sie bearbeitet und integriert werden, erst dann dürfen wir von einer nachhaltigen Therapie sprechen…
Quelle: Pixabay, Wikipedia